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Nachhaltige Software

Wenn wir et­was gestal­ten, dann tun wir das meistens nicht für uns. Wir tun es für je­mand an­ders: Ein­en Kun­den, ein Pub­likum, ein Zuschauer, ein Be­n­utzer. Wenn wir diesen je­mand näher spezi­f­iz­ier­en, kom­mt en­tweder eine Per­son heraus (selten­er der Fall) oder eine Per­son­en­gruppe. Dass man diese Per­son­en­gruppe dann Ziel­gruppe nen­nt, dürfte den meisten bekan­nt sein. Die Defin­i­tion dieser Ziel­gruppe gehört seit Ewigkeiten in die Vor­planung jeder TV-Sendung­sentwicklung. Auch in der Soft­wareentwicklung soll­te kein Pro­jekt be­gonnen wer­den, ohne zu wis­sen wer am Ende ei­gent­lich be­di­ent wer­den soll. Es passiert leider trotzdem. Im­mer wieder.

Seit An­fang 2010 nehme ich im­mer wieder Lehraufträge an der SRH Hoch­schule Heidel­berg an. Hauptsäch­lich sind es die Lehrver­an­stal­tun­gen Film- und Kam­er­a­t­ech­nik sow­ie Di­gitale Post­produk­tion, manch­mal auch Grundla­gen der Webentwicklung. Das sind Lehrver­an­stal­tun­gen, die sich für prakt­ische Arbeiten an­bi­eten. Wenn die Stud­i­er­enden dann ein Filmpro­jekt be­ginnen wollen, steht am An­fang ein schrift­liche An­trag, die ei­gene Filmidee um­set­zen zu dürfen. Dazu gehört selb­stverständ­lich auch die Frage, wer diesen Film über­haupt an­schauen und gut find­en soll.

Münd­lich ges­tellt ist die An­t­wort da­rauf meistens "alle".

Alle Menschen zu er­reichen ist natürlich ein tolles Ziel, wenn es dann daran ge­ht zu erklären, welche As­pekte der Idee dazu geeignet sind "alle" zu er­reichen, wird es ruhi­ger. Also fordere ich dazu auf, sich zu diesem Thema noch­mal Gedanken zu machen und bald danach kom­mt zu­mind­est eine Al­ter­seins­chränkung: 18 bis 24 Jahre.

Das nehme ich dann an, wir klop­fen die Geschichte noch ein­mal da­rauf­h­in ab für welche Per­son­en­grup­pen sie, wie sie ist, in­teress­ant sein könnte. Ergeb­nis ist meistens: Stud­i­er­ende Nerds. Je­mand an­ders hat das Vor­wis­sen gar nicht um An­spielun­gen, Poin­ten und die grundle­genden Zusam­menhänge zu ver­stehen.

Es kom­mt leiser Wider­stand auf - Natürlich kennen und ver­stehen das total viele Menschen! Jeder im Fre­un­deskre­is hat den Film schon gese­hen auf den da an­gespielt wird.

Aha. Und was sagt uns das? Dass man sich meistens in seinem ei­gen­en sozialen Mi­lieu be­wegt und der Fre­un­deskre­is nicht un­bedingt re­präsen­t­at­iv ist? Dieser Ein­wurf wird meist un­ter­schied­lich beant­wor­tet. Manche sagen ja, manche sagen nein, sie haben kein­en Nerd­fre­un­deskre­is, die sind alle "nor­mal".

Dieses "nor­mal" ist dann meistens mein Stich­wort um ein­mal be­herzt DWDL aufzurufen und den schock­ier­ten Stud­i­er­enden die TV-Quoten vom Vortag zu präsen­tier­en. Das da, das ist die Realität da draußen. Dieses Pub­likum, dass diese Sendun­gen, die ihr als Trash betitelt, täglich an­schaut. Dieses Pub­likum ist die Masse. Die sind die Welt da draußen. Nicht ihr. Kur­zes, be­tretenes Sch­wei­gen, es wird die Quoten­er­mittlung der GfK (zurecht) in Frage ges­tellt und dann lang­sam kann man sich dam­it au­s­ein­ander­set­zen, dass man doch in sein­er "Bubble", sein­er ei­gen­en klein­en Welt, lebt und die Realität da draußen eine an­dere ist.

"Der Fisch muss dem Köder schmeck­en, nicht dem Angler", dieser Satz, der Helmut Thoma zuges­chrieben wird, ist allge­genwärtig. Wenn je­mand recht­fer­tigt, in die un­ter­ste Schublade gegrif­fen zu haben, je­mand Produkte über Hostessen in kur­zen Röckchen verkauft will usw. Wenn man hier nicht dazugehören will, kann ich das voll und ganz ver­stehen - von der Hand weis­en kann man den Satz aber trotzdem nicht. Denn produzier­en wir an un­ser­er Ziel­gruppe vorbei haben wir selbst auch nichts dav­on. Vi­el­leicht aus un­sere Sicht die schönste Lösung - auto­mat­isch aber auch den Frust, dass es vom dem Leu­ten da draußen niemand zu würdi­gen weiß. Sie als dumm zu erklären, weil sie uns nicht ver­stehen wäre ein großer Fehler, denn wenn wir sie nicht er­reichen ist das un­ser Fehler, nicht der des Pub­likums.

Wenn wir et­was en­twick­eln, gestal­ten, produzier­en, wis­sen wir viel zu viel über das Produkt, über den Sinn dah­inter, über die Struk­tur. Es ist uns oft nicht möglich den berühmten Sch­ritt zurück­zutre­ten und das gan­ze "von außen" zu be­tracht­en. Weil wir trotzdem wir bleiben. Was wir tun können ist zu­mind­est train­ier­en zu erkennen, dass wir gerade aus un­ser­er ei­gen­en Per­spekt­ive auf ein Thema schauen. Wir können ver­suchen be­wusst ein­ige un­ser­er Vorken­nt­n­isse abzuschal­ten um zu über­le­gen, ob das gan­ze dann noch im­mer funk­tioniert. Wenn nein, können wir schon nachbessern, wenn ja müssen wir zum nächsten Sch­ritt ge­hen:

Je­manden aus der "Ziel­gruppe" fra­gen. Und bitte: Wenn wir et­was für - sagen wir mal ein­en Maurer produzier­en wollen. Dann dürfen wir um Him­mels Wil­len nicht auf die Idee kom­men zu mein­en, wir stel­len uns jet­zt vor wie ein Maurer den­kt und wir hätten un­ser Ergeb­nis. Alles was wir tun, ist un­ser Bild eines Maur­ers zu proj­iz­ier­en mit al­len Vor­ur­teilen und Einschätzun­gen die wir in un­ser­em Leben ges­am­melt haben.

Nein, es muss der echte Maurer her. Und dann probier­en lassen, an­schauen lassen. Ohne große Einführung und Erklärung. Und wenn das Feed­back kom­mt, müssen wir es neh­men wie es ist. Nicht an­fan­gen zu recht­fer­ti­gen und zu erklären war­um wir was wie gemacht haben. Wir sind nicht wichtig dabei. Un­sere Er­wi­der­ungen haben sich­er auch ihre Berech­ti­gung, und in ein­er Aus­wer­tung auch durchaus ihren Platz. Wenn et­was tech­nisch nicht an­ders möglich ist, dann ist es so. Auch wenn 90% der Leute es an­ders schöner find­en würden. Wenn es sonst das dop­pelte Kos­ten würde, dann ist das auch so. Wenn es niemand bereit ist das zu Zah­len, können wir wenig tun. Die Kritik aus Sicht des "En­d­verbrauch­ers" ist trotzdem gerecht­fer­tigt. Und es ist un­ser Job zu über­le­gen ob wir nicht vi­el­leicht doch noch ir­gend­wo den Spielraum haben ihm en­t­ge­gen zu kom­men. Vor al­lem aber müssen wir un­sere Ansicht­en und Einschätzun­gen im­mer wieder hin­ter­fra­gen, auf die Probe zu stel­len um so bess­er zu wer­den, in dem was wir tun. Für uns und un­sere Ziel­gruppe.